Vom Signalement bis zur Prognose
Das Lymphosarkom (LSA), eine bösartige Proliferation von Lymphozyten in soliden Organen, ist einer der häufigsten bösartigen Tumoren beim Hund. Meistens ist es gut möglich, einen Hund mit LSA im Alltag einer Kleintierpraxis aufzuarbeiten, zu diagnostizieren und auch zu therapieren. Die folgenden Ausführungen sollen eine Hilfe beim Angehen eines LSA-Verdachts in der Kleintierpraxis darstellen. Die Aufklärung des Besitzers über die verschiedenen Aspekte der Erkrankung soll diesen in die Lage versetzen, kompetent beurteilen zu können, ob er eine Chemotherapie durchführen lassen möchte. Dabei werden im Gespräch mit dem Besitzer mehrere Aspekte angesprochen: Prognose mit oder ohne Therapie, Morbidität (Lebensqualität des Patienten), Kosten, Alter und Allgemeinzustand des Hundes bzw. gleichzeitiges Vorhandensein anderer Erkrankungen und nicht zuletzt der persönlichen Aufwand und die Einstellung des Besitzers.
In einem zweiten Merkblatt werden wir Sie über Grundprinzipien bei der Durchführung einer Chemotherapie informieren.
1. Ursache des Lymphosarkoms beim Hund
Die Ursache des LSA beim Hund ist bis heute unbekannt. Eine genetische Prädisposition scheint bei gewissen Patienten vorhanden zu sein, jedoch könnten auch infektiöse- (Retroviren) sowie Umweltfaktoren (Herbizide) eine Rolle in der Entwicklung eines LSA spielen.
2. Signalement
Hunde mittleren Alters sind am häufigsten betroffen, seltener erkranken auch junge Hunde an LSA. Es gibt keine Geschlechts-, jedoch eine Rassenprädisposition: Beim Boxer, Bullmastiff, Golden Retriever, Basset Hound, Bernhardiner, Scottish und Airdale Terrier, Chow-Chow, deutschen Schäferhund, Pudel, Beagle und bei der englischen Bulldogge wurde eine erhöhte LSA-Prävalenz beschrieben.
3. Klinische Symptome
Die Symptome sind je nach betroffenem Organ sehr variabel. Eine generalisierte schmerzlose Lymphadenomegalie ist am häufigsten anzutreffen (Abbildung 1). Hinzu kommen sehr unspezifische Symptome wie Apathie, Anorexie und Abmagerung.
4. Diagnosestellung und Staging
Eine Nadelaspiration mit zytologischer Untersuchung eines Lymphknotens oder eines anderen vergrösserten Organs ist meistens diagnostisch. In seltenen Fällen ist die histologische Untersuchung einer Gewebebiopsie nötig, um die Diagnose zu bestätigen.
Ein Verdacht auf LSA besteht immer dann, wenn 30% der Zellen aus einem Lymphknotenaspirat Lymphoblasten sind. Typischerweise machen die Lymphoblasten bei einem LSA jedoch 50 bis 90% der lymphoiden Zellen im Lymphknoten aus. Wenn mehr als 50% der Zellen Lymphoblasten sind, dann kann die Diagnose zuverlässig gestellt werden. Bei der Analyse eines Lymphknotens sollte man, falls mehrere Lymphknoten vergrössert sind, nicht diejenigen aspirieren, welche sich in Gegenden befinden, wo viele reaktive Lymphozyten zu erwarten sind (z.B. Submandibularlymphknoten). Die präskapulären oder die poplitealen Lymphknoten eignen sich besser zur Diagnosestellung.
Obwohl im praktischen klinischen Alltag ein vollständiges Staging (klinische Tumorklassifizierung) des LSA nicht immer nötig ist, kann dieses jedoch sehr hilfreich sein für die Erfassung des Allgemeinzustandes des Patienten, die Formulierung eines Therapieplanes und die Prognosestellung. Will man einen Behandlungserfolg beurteilen oder einen Vergleich zwischen klinischen Studien herstellen, so ist ein Staging des LSA ebenfalls sehr wertvoll. Die WHO hat ein klinisches Staging für LSA bei domestizierten Tieren entwickelt (Tabelle 1). Zu den wichtigsten diagnostischen Mitteln, um bei einem LSA- Patienten das Tumorstadium zu erfassen, gehören neben Anamnese und kompletten klinischen Untersuchungen (inklusive Augen und Rektum) auch Laboruntersuchungen.
Eine Hämatologie und eine klinische Chemie sowie eine Harnuntersuchung sind bei allen Fällen angezeigt. Mit diesen Laboranalysen wird der Allgemeinzustand des Tieres erfasst und paraneoplastische Syndrome werden erkannt (z.B. Hyperkalzämie). Diese Laboruntersuchungen sind umso wichtiger, da teure, aufwendige und z.T. belastende Diagnostik und Therapie angewendet werden. Röntgen, Ultraschall und eine Endoskopie werden ebenfalls oft eingesetzt. Eine Knochenmarksaspiration oder eine Liquoruntersuchung werden bei Verdacht einer Leukämie bzw. einer Beteiligung des zentralnervösen Systems durchgeführt.
Tabelle 1: Klinisches Staging-System der WHO für LSA bei domestizierten Tieren
1. Anatomische Lokalisation
Generalisiert
Alimentär
Thymus
Haut
Leukämie (nur Blut und Knochenmark betroffen)
Andere (inklusive solitär renal)
2. Stadium (anatomische Lokalisation mitberücksichtigen)
Nur ein Lymphknoten oder lymphatisches Gewebe in einem Organ betroffen (ausgenommen Knochenmark)
Viele Lymphknoten in einer Region betroffen (± Tonsillen)
Lymphknoten generalisiert betroffen
Leber und/oder Milz betroffen (± Stadium III)
Manifestation im Blut sowie Knochenmark und/oder andere Organsysteme betroffen (± Stadien I-IV)
Jedes Stadium ist subklassifiziert in:
ohne systemische Symptome (guter Allgemeinzustand)
mit systemischen Symptomen (klinisch kranker Hund)
Zur anatomischen Lokalisation wird an dieser Stelle nur auf wenige wichtige Punkte eingegangen. Das multizentrische LSA ist mit 80% die häufigste Form. Die Thymus-Form und die alimentäre Form kommen in ca. 5 bzw. 7% der Fälle vor. Extranodale Formen (z. B. Auge, Nase, zentrales Nervensystem, Knochen und Nieren) sind selten. Eine spezielle Form stellt die Leukämie dar. Per Definitionem handelt es sich bei der Leukämie um eine Proliferation von neoplastischen Zellen im Knochenmark, mit oder ohne Zirkulation dieser Zellen im Blut. Ein LSA-Patient kann plötzlich an einer lymphatischen Leukämie erkranken. Eine lymphatische Leukämie kann jedoch auch unabhängig von einem LSA auftreten. Man unterscheidet eine akute lymphatische von einer chronischen lymphatischen Leukämie (ALL bzw. CLL). Therapie und Prognose von ALL und CLL sind sehr unterschiedlich.
5. Therapie
Da das LSA immer als eine systemische Erkrankung angesehen werden muss, ist eine systemische Therapie angezeigt. Die Chemotherapie ist die Therapie der Wahl bei LSA-Patienten. Lange Remissionen bei gutem Allgemeinzustand können erreicht werden, so dass eine Chemotherapie durchaus empfehlenswert ist. Während der Chemotherapie können Nebenwirkungen auftreten, diese sind jedoch meistens gut behandelbar. Falls man bei einem Patienten den Verdacht eines LSA hat, dann ist es sehr wichtig, vor Beginn der Chemotherapie keine
Glukokotikosteroiden einzusetzen. Diese üben nämlich einen zytotoxischen Effekt auf die Lymphozytenpopulation innerhalb eines Lymphknotens oder eines anderen Organs aus. Da die Lymphoblasten empfindlicher auf diese toxische Wirkung reagieren als die Lymphozyten, ändert sich dadurch das zytologische Bild, was die Diagnosestellung eines LSA stark erschweren kann. Durch den vorzeitigen Einsatz von Steroiden werden ausserdem auch klinische Symptome maskiert, was eine schnelle und sichere Diagnosestellung ebenfalls behindert. Ein weiterer wichtiger Grund für die Vermeidung von Steroiden bei der Aufarbeitung eins LSA-Verdachtsfalles liegt in der signifikant schlechteren Prognose für mit Steroiden vorbehandelte Patienten (siehe unten).
Eine Bestrahlungstherapie ist bei einzelnen LSA-Fällen indiziert. Das beste Beispiel dafür ist das nasale LSA, wo man rasch zu einer kompletten Remission kommen kann. Die Remissionsdauer ist allerdings unterschiedlich und eine gleichzeitige Chemotherapie wird empfohlen.
Eine Chirurgie wird selten bei einem solitären lokalisierten LSA im Stadium I angewendet. Ein ausführliches Staging ist in diesen Fällen nötig, um eine systemische Ausbreitung der Erkrankung auszuschliessen.
6. Prognose
Die Prognose bei einem an LSA erkrankten Hund ist sehr variabel. Die Patienten sprechen sehr oft gut auf die Chemotherapie an. Komplette rasche Remissionen bei guter Lebensqualität sind keine Seltenheit. Eine komplette Heilung ist möglich, jedoch kommt sie in weniger als 10% der Fälle vor. Es sind mehrere Faktoren bekannt, welche die überlebensdauer beeinflussen: Eine grosse prognostische Bedeutung hat die WHO-Klassifizierung in Stadium a (ohne systemische Symptome) und Stadium b (mit systemischen Symptomen), wobei das Stadium b mit einer kürzeren überlebensdauer assoziiert ist. Die anatomische Lokalisation des LSA spielt auch eine wichtige Rolle für die Prognosestellung: Eine Leukämie (v.a. eine ALL), ein diffuses kutanes LSA und ein alimentäres LSA haben eine ungünstige Prognose. Wenn eine kraniale mediastinale Lymphadenomegalie besteht, dann ist die Remissions- und überlebenszeit oft ebenfalls kürzer. Die Ergebnisse einer histopathologischen Untersuchung des LSA (Gradierung des Tumors) sowie einer Immunophänotypisie- rung der Lymphozyten (T-Zellen vs. B-Zellen) können auch die Prognose beeinflussen. Diese Untersuchungen werden jedoch in der Praxis selten durchgeführt. Eine Vorbehandlung des LSA mit Steroiden hat häufig eine kürzere überlebensdauer zur Folge. Vermutlich induzieren die Steroide eine Resistenz der Tumorzellen gegenüber mehreren Chemotherapeutika.
Ohne Behandlung bewegt sich die überlebensdauer der Patienten zwischen 4 und 6 Wochen. Durch ein Chemotherapieprotokoll, welches auf Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednisolon basiert, kann eine komplette Remission in 80-90% der Fälle erzielt werden. Die mediane überlebenszeit liegt bei ungefähr 12 Monaten, wobei etwa 25% der Hunde 2 Jahre überleben.